Menschen im Pflegeberuf: Die müden Dauerpatienten
Menschen im Alter helfen, unterstützen und begleiten – eine wichtige Aufgabe. Eine Arbeit mit Sinn. Oder mit „Purpose“ wie es heutzutage heißt. Andererseits: Pflegeberufe sind anstrengend. Aber sie sind essenziell, auch und gerade im Gesundheitswesen. Wir alle werden nun einmal alt. Das macht den Berufszweig krisenfest. Und für viele ist er erfüllend – eigentlich. Aber die Zahlen sprechen eine andere Sprache und stehen sicher nicht für hohe Mitarbeiterzufriedenheit. Immer weniger Menschen wollen diesen Job machen, der von Frauen dominiert wird. 90 Prozent aller Pflegekräfte weltweit sind nämlich weiblich und üben den Beruf meistens in Vollzeit aus. Aber nur wenige bleiben im Job wirklich lange. Und auch wenn die Motivation oft hoch ist: Viele Frauen, die in der Pflege tätig sind – sei es in Krankenhäusern, in Pflegeeinrichtungen oder ambulant – schmeißen hin, weil sie unter den bestehenden Bedingungen nicht bzw. nicht mehr arbeiten wollen oder – mental oder körperlich – nicht mehr können.
Um ein Gefühl für die Problematik zu bekommen: In einem Industriestaat wie Deutschland suchen Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen in der Pflege durchschnittlich 183 Tage in Folge einer Kündigung nach Ersatz. Das zeigt deutlich den Fachkräftemangel. 50 Jahre beträgt das Durchschnittsalter von Pflegekräften in Deutschland, aber auch in anderen westlichen Ländern wie Schweden und Kanada. Dabei mag das Image des Pflegeberufs in Schweden besser sein als in Deutschland, weil dort fast alle Pflegekräfte die Ausbildung an einer Hochschule absolvieren. Das Nachwuchsproblem ist in dem Land aber trotzdem nicht gelöst.
Nun schlug vor kurzem die Weltgesundheitsorganisation Alarm. In ihrem Bericht aus dem Jahr 2020 gab die WHO an, dass weltweit rund 5,9 Millionen professionelle Fachkräfte fehlen. Schon heute stützen Millionen Quereinsteiger die Branche. Um einen Pflegenotstand zu vermeiden, müsste jedes Land die Ausbildung von Pflegekräften um durchschnittlich acht Prozent pro Jahr erhöhen. Doch wie soll das gelingen?
Zeit und Qualität für Pflege schaffen
Die Probleme in der Pflegebranche sind laut International Council of Nurses (ICN) weltweit sehr ähnlich: Erstens gibt es zu viele pflegefremde Tätigkeiten, die nebenbei mit erledigt werden, zweitens wird das große Potenzial von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Pflege unterschätzt, drittens werden in dieser Berufsgruppe schlechtere Gehälter gezahlt als in vergleichbaren Sparten. Die Karten liegen also auf dem Tisch. Und das schon lange.
Fragt man Mitarbeiter von Pflegediensten nach deren Alltagsproblemen und Bedürfnissen wird deutlich: Es fehlt an Zeit und es schwingt zu viel Bürokratie in diesem Beruf mit. Vom Aufziehen der Insulinspritze bis zur Unterstützung beim Mittagessen – alles passiert in Eile. Dadurch kommt soziale Zuwendung viel zu kurz. Und auch präventive Maßnahmen, die den Gesundheitszustand älterer Menschen erhalten oder sogar steigern könnten, bleiben auf der Strecke. Nur zur Erinnerung: Wer eine Ausbildung in der Altenpflege macht, beschäftigt sich mit ganzheitlicher und bedürfnisorientierter, sprich individueller Pflege. Im Alltag kommt genau das aber zu kurz. Es sind also Lösungen für die Betreuung gefragt, die Zeit schaffen und damit die Motivation und Mitarbeiterzufriedenheit erhöhen: von der Digitalisierung der Pflegedokumentation über neue, flexiblere Arbeitszeitmodelle, bis hin zum gezielten Einsatz ehrenamtlicher Helfender. Alles, was Zeit verschafft, erhöht die Arbeitszufriedenheit und Bindung der Mitarbeiter an den Arbeitgeber.
Mehr Wertschätzung für die Pflege
Und das Potenzial der Pflegekräfte? Es gibt Länder, in denen trägt das Personal mehr Verantwortung. Während in Deutschland Ärztinnen und Ärzte delegieren und Pflegekräfte ausführen, gilt in Ländern wie der Schweiz, den Niederlanden und Schweden das Prinzip der Eigenverantwortung. Pflegende haben mehr Entscheidungsspielraum, können eigene Lösungen entwickeln, um zu Betreuende zu behandeln. Das schafft Arbeitszufriedenheit und verschafft mehr Anerkennung. Und die Möglichkeit zur Selbstorganisation. Dadurch wird der Job wertiger und attraktiver. Dazu kann übrigens auch die Akademisierung des Berufsfelds beitragen, die nebenbei für eine höhere Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sorgt. Das, gepaart mit fairer Entlohnung, schafft Wertschätzung. Also zurück zum Anfang des Textes: Jobs in der Pflege müssen Sinn machen. Und es sollte in unser aller Interesse liegen, heute, im Grunde ab jetzt, die (Pflege-)Welt von morgen zu verändern. Schließlich werden auch wir immer älter. Wer im Jahr 2020 geboren wird, hat eine Lebenserwartung von durchschnittlich 81 Jahren. Und wer wäre im letzten Abschnitt des Lebens nicht gerne gut aufgehoben? Und dabei möglichst lange gesund?
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